Im ersten Teil der „Grundlagen des Yogasutra nach Patanjali“ habe ich die 8 Stufen bzw. Glieder des Yogasutra nach Patanjali erklärt. Deshalb gehe ich heute näher auf das erste Glied ein: Yama.
Auch haben wir in Teil 1 erfahren, dass Yama für die Moral steht. Zusammen mit den anderen sieben Gliedern, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi, bilden sie die ganzheitliche Yoga Praxis ab. Hier kannst du noch einmal nachsehen, für welche Disziplinen die anderen aufgeführten Glieder stehen, bevor wir im Folgenden näher auf das erste Glied eingehen. Doch wollen wir zunächst klären, was der Pfad des Yogasutra eigentlich wirklich darstellt: eher 8 aneinanderreihende Disziplinstufen oder voneinander unabhängige Glieder?
Yogasutra – ein Weg oder ein Ziel?
Auch, wenn der Pfad des Yogasutra oft in Stufen dargestellt wird – was wahrscheinlich bei den ein oder anderen einen eher ungemütlichen Beigeschmack von „strikter Disziplin“ hervorruft – sind die Glieder nicht unbedingt in einer Reihenfolge zu behandeln. Hier ist es deshalb wichtig, daran zu erinnern: Yoga ist kein Wettbewerb und Samadhi kein Ziel, welches – wenn wir es nicht „erreichen“ – uns erhobenen Zeigefingers an unseren Misserfolg erinnern soll. Jenes Konkurrenzdenken haben wir möglicherweise als Kinder im Sportunterricht übernommen, in dem es um zu erreichende Noten ging. Im Yoga allerdings dürfen wir diese Leistungsorientiertheit guten Gewissens ablegen. Denn im Yoga gibt es kein „schneller“ oder „langsamer“; „besser“ oder „schlechter“. Das lehrt uns Karma Yoga, welches besagt, dass jeder ein Recht auf Handeln habe, doch nicht auf dessen Früchte. Kein Dienst ist weniger wert als der andere.
Auf unser erstes Glied Yama übertragen, kann dies bedeuten, dass wir moralisches Verhalten ohne das Beispiel unmoralischen Verhaltens nicht erlernen könnten. Für unsere Entwicklung ist das Dunkle ebenso wichtig wie das Lichtvolle. Genauso wie für einen Strand jedes einzelne Sandkorn eine wichtige Rolle spielt, da dieser erst durch die Sandkörner überhaupt existieren kann. So können wir auch Karma Yoga, die Yamas und Niyamas als auch andere Disziplinen des Yoga als Bestandteile des Yoga sehen, welche im Einzelnen nicht mehr oder minder wichtig sind, da sie alle durch ihre ganz besondere Funktion zum Großen beitragen. Gehen wir nun also auf das erste Glied ein:
Yama – das erste Glied des Yoga
„Nicht-Verletzen (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya), Nicht-Stehlen (Asteya), Liebevolle Sexualität (Brahmacharya) und Nicht-Anhaften an Besitz (Aparigraha), begründet die Achtung gegenüber den Mitmenschen (Yama)“. Was bedeutet dies nun im Näheren? Wir erinnern uns an Niyama (Selbstdisziplin bzw. Achtung gegenüber uns selbst). Nicht umsonst steht deshalb Yama noch vor Niyama: denn wir können uns kaum um uns selbst kümmern, wenn außerhalb von uns selbst Unruhe und Krieg herrschen. Yama besteht aus 5 Prinzipien:
Die 5 Prinzipien der Yamas
Ahimsa (Nicht-Verletzen) – Ahimsa bedeutet Gewaltlosigkeit in unseren Worten, Taten als auch in unseren Gedanken. Wie oft verurteilen wir uns selbst in unseren Gedanken, üben auf andere unkonstruktive Kritik aus und verletzen in unserem eigenen Frust sogar diejenigen, die wir am meisten lieben? Du siehst also: Ahimsa ist nicht nur auf das Äußere gerichtet, sondern bezieht sich auch auf unsere Handlungen gegenüber uns selbst. Ahimsa bedeutet damit auch, gut auf unseren Körper zu achten – was unsere Gedanken über unseren Körper miteinschließt. Und manchmal müssen wir auch Dinge tun, um uns selbst nicht zu verletzen oder zu schaden. Vielleicht verletzt es jemanden, wenn wir „Nein“ sagen – aber ein „Nein“ zu anderen, ist manchmal auch ein „Ja“ zu uns selbst. Ahimsa ist also kein strenges Gesetz, sondern stets ein vorsichtiges Abwägen.
Satya (Wahrhaftigkeit) – Satya bedeutet nicht nur nicht zu lügen, sondern in unserem ganzen Sein wahrhaftig zu sein. Oft denken wir das eine, während wir das andere sagen oder tun. In diesem Fall sind wir nicht integer und wahrhaftig. Warum wir manchmal nicht-integer handeln, liegt jedoch oft nicht in unserer bewussten Absicht, sondern vielmehr an unseren tief verwurzelten Ängsten, nicht so sein zu können, wie wir wirklich sind. Die Ursache für diese Ängste sind oft Konventionen und Normen, Verhaltensregeln und Frauen- sowie Männer-Figuren, die in der Gesellschaft aufrechterhalten und oft auf den Einzelnen projiziert werden. Hier ist Bewusstseinsarbeit sehr hilfreich. Denn diese unterstützt uns dabei, aufzuspüren, in welchen Bereichen unseres Lebens wir uns „unfrei“ fühlen und damit noch „unwahrhaftig“ in unserem Handeln sind.
Asteya (Nicht-Stehlen) – Asteya drückt sich in mehreren Ebenen aus. Somit beinhaltet diese Disziplin nicht nur das „Nicht-Stehlen“ von fremden Besitztümern, sondern auch das Nicht-Stehlen von fremdem Gedankengut und Ideen sowie das Nicht-Begehren von fremdem Besitz. Denn dieses führt zu Leiden und nicht zur höchsten Erkenntnis: dem Einssein mit Allem. Zudem verletzen wir auch andere, wenn wir das, was sie haben, ihnen nicht gönnen und ihren Besitz oder ihre Ideen stehlen. Damit würden wir nicht nur gegen Asteya, sondern auch gegen Ahimsa und Satya verstoßen. Unter Asteya ist also auch zu verstehen, dass wir nichts nehmen sollen, was uns nicht freiwillig bzw. vom Universum gegeben wurde. Asteya hat damit also auch etwas mit Vertrauen und Selbstwert zu tun. Wenn wir uns im Vertrauen üben, dass wir vom Universum alles zur rechten Zeit bekommen, was für unsere Entwicklung am besten ist, praktizieren wir auch Asteya und üben uns darin, uns selbst als wertvoll genug zu erkennen, womit wir auch ganz von allein aufhören werden, die Güter der anderen zu begehren.
Brahmacharya (Liebevolle Sexualität) – Auch dieses Yama trägt die vorherigen Yamas in sich: Ahimsa, Satya und Asteya. Damit ist gemeint, dass es in liebevoller Sexualität keine Gewalt, kein Lügen und kein Fremdgehen geben sollte. In der Praxis bedeutet das, dass Sex niemandem seelisch oder körperlich schaden und auch nicht aus egoistischen Gründen geschehen sollte – sondern aus freiem Willen heraus und in liebevoller Übereinkunft zwischen zwei Menschen. Nur so kann Sexualität auch als göttliche Vereinigung zweier Individuen erlebt und damit als ein heiliger Akt erfahren werden, der uns dem höchsten Ziel, dem Einssein, näherbringt.
Aparigraha (Nicht-Anhaften an Besitz) – Gerade in einer Wachstumsgesellschaft, wie wir sie besonders in den westlichen Kulturen erleben dürfen, ist Aparigraha wohl für viele eine besondere Herausforderung. Denn es bedeutet das Nicht-Anhaften an Besitz. Das Nicht-Anhaften an Besitz hängt auch stark mit Unbestechlichkeit zusammen. Denn sind wir bestechlich und lassen uns von Geschenken oder Geld verführen, leben wir auch nicht in Satya (Wahrhaftigkeit). Damit ist natürlich nicht gemeint, dass wir keine vom Herzen kommenden Geschenke oder Geld annehmen dürfen. Auch hier ist deshalb ein gesundes und wahrhaftiges Abwägen der Hintergründe wichtig. Nehmen wir etwas an und gehen dabei einen Kompromiss ein, der eigentlich nicht unseren wahren Wünschen entspricht – uns dafür aber etwas anders verspricht? Oder bleiben wir in unserer Wahrhaftigkeit und lassen uns von glänzenden Angeboten, die uns in Wahrheit unserer seelischen Freiheit berauben, nicht blenden?
Welcher Aspekt ist momentan für dich am wichtigsten? In welchen Bereichen deines Lebens lebst du diese Aspekte schon stark – und in welchen vielleicht eher weniger? Wo könnte es dir guttun, dich mehr in den einzelnen Yamas zu üben, um mehr in den Einklang mit dir selbst zu kommen?
Ich freue mich, wenn dir dieser Beitrag zu diesen Fragen Hilfestellung geben konnte. Und wenn du dich mehr in das Yoga und die Philosophie des Yoga vertiefen möchtest und Teil meiner Yoga Community sein möchtest, dann besuche doch auch gern meine Insight Yoga Online Community (früher Level Up Yoga Online Community). Diese kannst du in vollem Umfang für 14 Tage kostenlos testen!
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Namasté
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